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J. W. v. Goethe
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Vier verschiedene Interpretationen des    Newtonschen  Prismenversuches

A Naive Betrachtungsweise des Prismenversuches 
B Physikalischer Hintergrund des Prismenversuches 
C

Interpretation des Prismenversuches im Sinne der modernen Naturwissenschaft
D Interpretation des Prismenversuchs im Sinne Goethes
E   Nachtrag

   Seit alters her haben die Menschen die Farbe als ein Gesamtphänomen betrachtet. Bis heute sprechen wir im alltäglichen Umgang unbekümmert von der „grünen“ Wiese oder der „roten“ Blüte des Mohns, ohne Mißverständnisse befürchten zu müssen, ohne uns fragen zu müssen, ob die Farbe bereits im Licht, d. h. außerhalb des Menschen vorhanden ist, oder ob sie erst im Sehorgan des Menschen entsteht. Diese Frage wurde in der Wissenschaft erst aktuell, nachdem der englische Physiker und Mathematiker Isaac Newton es unternommen hatte, die Phänomene ‚Licht‘ und ‚Farbe‘ mit Hilfe eines Glasprismas zu analysieren.
    Um Farbfehler von Glaslinsen erforschen zu können, führte Newton seinen berühmten „Prismenversuch“ durch: Er schickte in einem Raum, der als camera obscura eingerichtet war, einen dünnen Strahl von Sonnenlicht durch ein Glasprisma und lenkte die austretende Strahlung auf einen weißen Schirm. Er stellte fest, dass sich der Strahl des weißen Sonnenlichts in ein Spektrum verschiedener Farben auffächern läßt. Die Strahlung läßt sich auf ihrem Wege bis zum Schirm sichtbar machen, wenn sie durch ein trübes Medium geleitet wird, z. B. durch staub– oder nebelhaltige Luft. In einem weiteren Versuch machte Newton die durch das Prisma bewirkte Auffächerung in ein Farbenspektrum wieder rückgängig, indem er mit einer Sammellinse die divergierenden farbigen Strahlen im Linsenbrennpunkt vereinigte; das Ergebnis war weißes Licht, welches alle Eigenschaften des direkten Sonnenlichts besaß.
     Beim Versuch, das Ergebnis des Newtonschen Prismenversuchs wissenschaftlich zu interpretieren, treten Fragen auf wie diese: Welcher Natur sind die Farben und in welchem Verhältnis stehen sie zum Licht? Sind die Farben Quantitäten oder Qualitäten? Wo haben die Farben ihren Sitz? Welche Gesetze gelten für die Farben? Die Antworten, die Newton auf diese Fragen in seinem 1704 veröffentlichten Werk Opticks: or a Treatise of the Reflexions, Refractions, Inflexions and Colours of Light, in dem er die Grundlagen der physikalischen Optik legte, gegeben hat, sind von der Fachwelt weitgehend akzeptiert worden, sie stehen jedoch im krassen Gegensatz zu den Antworten, die Goethe hundert Jahre nach Newton in seiner 1810 erschienenen Werk „Zur Farbenlehre“ gegeben hat. Es kam zu dem berühmten Farbenstreit zwischen Goethe und den Anhängern Newtons, der bis zum heutigen Tag nicht endgültig entschieden ist. Die Positionen der beiden gegnerischen Lager lassen sich am besten verdeutlichen, wenn die unterschiedlichen Interpretationen, die der Newtonsche Primenversuch erfahren hat, gegeneinander gesetzt werden.
Zur  Ansicht der größeren Abbildung klicken Sie bitte auf die kleine Abbildung.
siehe Abb. 1:
zur Abbildung 1 Newtonscher Prismenversuch

siehe Abb. 2:
zur Abbildung 2
A. Naive Betrachtungsweise des Prismenversuchs
    (Abbn. 1 und 2)

   Entsprechend der im Alltag gebräuchlichen naiven Betrachtungsweise der Farben würde die Beschreibung des in Abbildung 1 schematisch dargestellten Newtonschen Prismenversuchs etwa folgendermaßen lauten: Ein ausgeblendeter und durch ein Glasprisma abgelenkter weißer Lichtstrahl wird in ein Farbenspektrum auseinandergefächert, welches aus den Farben Rot, Gelb, Grün, Blau und Violett mit ihren Übergängen besteht. (Der Einfachheit halber sind die Farbenübergänge in der Abbildung nicht berücksichtigt.) Mittels Sammellinse lassen sich die divergierenden farbigen Strahlen im Linsenbrennpunkt zur Konvergenz bringen und durch das Prisma in einen Strahl weißen Lichts überführen, so dass der Ausgangszustand wiederhergestellt ist.. Diese Umkehrung des Prismenversuchs ist in Abbildung 2 ebenfalls schematisch dargestellt.









siehe Abb. 3:zur Abbildung 3 Aufspaltung einer vielwelligen Strahlung
B. Physikalischer Hintergrund des Prismenversuchs (Abb. 3) 

    Der Newtonsche Prismenversuch läßt sich ausschließlich mit physikalischen Gesetzen und Begriffen interpretieren. Sonnenlicht besteht aus einer aus vielen Wellenlängen bestehenden elektromagnetischen Wellenstrahlung. Beim Durchgang des ausgeblendeten Strahls von Sonnenlicht durch das Prima erfolgt eine Auftrennung der Strahlung in Einzelbestandteile mit jeweils einer einheitlichen Wellenlänge. Die Auftrennung wird dadurch verursacht, dass die einzelnen Strahlungsbestandteile verschieden stark abgelenkt oder „gebrochen“ werden, wobei der Brechungswinkel korreliert ist mit der Wellenlänge der Einzelbestandteile, kurzwellige Bestandteile werden stärker gebrochen als langwellige; der mathematische Ausdruck für diese Korrelation ist das Snelliussche Brechungsgesetz.
   Die Aufspaltung einer vielwelligen Strahlung in ihre Einzelbestandteile ist in Abbildung 3 dargestellt. Diese Aufspaltung ist mit rein physikalischen Mitteln nachweisbar, man benötigt dazu einen Apparat, der die Intensität der Strahlung in Abhängigkeit von der Wellenlänge auf einen Bildschirm anzeigt; das Sehorgan des Menschen mit seiner Fähigkeit, Farben zu empfinden, wird als Nachweisapparat nicht benötigt.
siehe Abb. 4:
zur Abb. 4 Interpretation aus Sicht der modernen Naturwissenschaft








C. Interpretation des Prismenversuchs im Sinne der modernen Naturwissenschaft (Abb. 4)

     Bei seinen Untersuchungen des Licht-Farbe-Verhältnisses mittels Prisma hat Newton als Nachweisinstrument des Lichts keine physikalischen Apparate, sondern sein eigenes farbenempfindliches Sehorgan eingesetzt.
    Das Ergebnis seiner optischen Untersuchungen veröffentlichte Newton in einem mehrteiligen Werk, dessen übersetzter Titel lautet: „Optik oder Abhandlung über Spiegelungen, Brechungen, Beugungen und Farben des Lichts.“ Bereits der Titel des Werks gibt zu erkennen, dass nicht nur die Spiegelung, Brechung und Beugung des Lichts, sondern auch „die Farben des Lichts“ behandelt werden. Den Anspruch, dass seine Optik gleichzeitig auch als eine Farbenlehre gelten soll, hat Newton in seinem Werk ausdrücklich bekräftigt.
     Im ersten Buch der Optik (2. Teil, Prop. VII, Lehrsatz 5) heißt es:
 
„Alle Farben in der Welt, die durch das Licht erzeugt sind und nicht von unserer Einbildungskraft abhängen, sind entweder Farben homogenen Lichts (Licht, dessen Strahlen gleiche Brechbarkeit besitzen) oder aus solchen zusammengesetzt“,
und im zweiten Buch der Optik (2. Teil, Bemerkungen zu den vorhergehenden Beobachtungen) zieht Newton die folgenden Schlüsse:
 
„Bei dieser Auffassung wird die Lehre von den Farben eine ebenso sichere mathematische Theorie, wie irgend ein anderer Teil der Optik, insoweit nämlich die Farben von der Natur des Lichts abhängen und nicht durch die Einbildungskraft oder etwa einen Schlag oder Druck auf das Auge hervorgebracht oder geändert werden“.
Newtons Fazit lautet: Die Farben gehören dem Licht an und sind mit dem Licht überall im Universum vorhanden. Die Farbenlehre ist ein Teil der physikalischen Optik, die Farben sind einer mathematischen Beschreibung zugänglich. Alle nicht unmittelbar vom Licht hervorgebrachten Farbenerscheinungen beim Menschen sind nur eingebildet, d. h. sie existieren nicht wirklich.
    Aus dem umgekehrten Primenversuchs, bei dem die Auffächerung eines weißen Lichtstrahls in Spektralfarben wieder rückgängig gemacht wird (Abb. 2), zieht Newton den Schluß, dass Weiß aus Farben zusammengesetzt ist. Diese Behauptung sollte zu einem der Hauptstreitpunkte zwischen Goethe und den Anhängern Newtons werden.
     Newton hat sich bemüht, zwischen den aus Experimenten gewonnenen Erfahrungen und den durch die Experimente angeregten Spekulationen gewissenhaft zu unterscheiden. Bereits im ersten Buch (2. Teil, Definition) relativiert Newton die sich auf „Farbe“ beziehenden Teile seiner Optik und gibt folgende Definition von der „Farbe eines Lichtstrahls:
 
„Und wenn ich einmal von farbigen oder gefärbten Lichtstrahlen spreche, so ist dies nicht im wissenschaftlichen oder strengen Sinn zu verstehen, sondern umgangssprachlich gemeint. Denn streng genommen sind die Strahlen nicht gefärbt. In ihnen liegt lediglich eine Macht oder Disposition, die Empfindung dieser oder jener Farbe zu erregen.“
Das heißt aber: Wenn Newton von „Farbe“ spricht, ist nach heutiger wissenschaftlicher Terminologie ein Farbreiz gemeint, der die Macht hat, eine Farbempfindung zu erregen. Dies impliziert die zentrale Frage jeder wissenschaftlichen Farbentheorie, in welchem Verhältnis der Farbreiz (Licht) zur Farbempfindung steht. Newton war sich klar, dass die Antwort auf die zentrale Frage nicht auf experimentelle Erfahrung gegründet werden kann, sondern dazu die Spekulation zu Hilfe genommen werden muss. Am Schluß des dritten Buchs seiner Optik hat er alle Spekulationen und Hypothesen, die er nicht wissenschaftlich begründen konnte, die er aber Nachfolgern als Anregung hinterlassen wollte, als Fragen (Quaries) formuliert.
    Newtons Meinung über das Verhältnis zwischen Licht und (Farben)Sehen erfährt man in Frage 12:
 
„„Erregen nicht die Lichtstrahlen, wenn sie auf den Hintergrund des Auges fallen, Schwingungen auf der Netzhaut, die sich entlang der festen Fasern der Sehnerven bis zum Gehirn verbreiten und dort den Eindruck des Sehens hervorrufen?“
Newton nimmt eine aus Schwingungen bestehende Kausalkette an, ausgehend vom Farbreiz (Licht), der auf die Netzhaut wirkt, bis zum Gehirn, in welchem die Farbempfindung hervorgerufen wird. Mit anderen Worten: die Farbempfindung ist mit dem Farbreiz fest verkoppelt und kann nicht unabhängig vom Farbreiz existieren. Das heißt aber auch: Eine vom Farbreiz (Licht) unabhängige Farbempfindung ist ein Produkt der menschlichen Einbildungskraft und daher nicht real. Die Frage, in welchem Verhältnis der Farbreiz (Licht) zur Farbempfindung steht, wird daher: Farbreiz und Farbempfindung sind von gleicher Qualität, unterliegen den gleichen Gesetzen der physikalischen Optik und brauchen terminologisch nicht getrennt werden, beide Erscheinungen sind „Farbe“.
   In Abbildung 4 ist die Interpretation des Prismenversuchs im Sinne der modernen Naturwissenschaft dargestellt, die mit der Interpretation Newtons im wesentlichen übereinstimmt: in beiden Fällen wird das Licht als Träger der Farben angesehen. Es spielt dabei keine Rolle, dass Newton das Licht als Teilchenstrahlung interpretiert, wobei die Farbe mit der Teilchengröße korreliert ist, während die moderne Naturwissenschaft von einer elektromagnetischen Wellenstrahlung ausgeht und der Farbe eine Wellenlänge dieser Strahlung zuordnet. Newton spricht von den Farben des Lichts und die moderne Wissenschaft von polychromatischer (vielfarbiger) und monochromatischer (einfarbiger) Strahlung.
siehe Abb. 5:
zur Abbildung 5 - Prismenversuch-Interpretation im Sinne Goethes





D. Interpretation des Prismenversuchs im Sinne Goethes
(Abb. 5)

    Aus dem umgekehrten Primenversuchs, bei dem die Auffächerung eines weißen Lichtstrahls in Spektralfarben wieder rückgängig gemacht wird (s. Abb. 2), zieht Newton den Schluß, dass Weiß aus einer Mischung von Farben besteht. Diese Behauptung wurde zu einem der Hauptstreitpunkte zwischen Goethe und Newton bzw. dessen Anhängern.
    Um die Newtonsche Behauptung nachzuprüfen, betrachtete Goethe die weiße Wand seines Zimmers durch ein Prisma und erhielt das für ihn unerwartete Ergebnis, dass die Wand weiß blieb; erwartet hatte er, dass das Weiß der Wand sich in viele Farben zersplittern würde, gemäß der Newtonschen Behauptung über die Zusammengesetztheit des Weiß. So sah sich Goethe in seinen Erwartungen getäuscht: „und ich sprach wie durch einen Instinkt sogleich vor mich laut aus, dass die Newtonsche Lehre falsch sei.“ Dieses von Goethe in seinem Tagebuch 1790 als „Aperçu der prismatischen Farbenerscheinung“ bezeichnete Ereignis markiert den Beginn von Goethes Farbenstudien, die er bis an sein Lebensende fortführte.
     Es lohnt sich, den Streit zwischen beiden gegnerischen Lagern zu analysieren und dabei nicht eine umgangssprachliche, sondern eine wissenschaftliche Ausdrucksweise zu verwenden, nur so läßt sich klären, wer in welchem Punkt recht hat und wer nicht. Bei der Verwendung des Terminus „Farbe“ werden wir jeweils klarzustellen versuchen, was damit gemeint ist: der von außen auf das Auge wirkende Farbreiz oder die im Sehorgan erzeugte Farbempfindung.
   Newton versteht unter „Farbe“ einen Farbreiz, der mit einer Farbempfindung kausal verbunden ist, so dass eine Farbempfindung nicht unabhängig vom Farbreiz existieren kann und eine verbale Unterscheidung zwischen Farbreiz und Farbempfindung nicht notwendig ist, beides ist „Farbe“. Die Behauptung Newtons, dass sich Weiß aus verschiedenen Farben zusammensetzen läßt, ist folgendermaßen zu interpretieren: Der Reiz für die Empfindung Weiß läßt sich aus den Reizen für verschiedene Farbempfindungen zusammensetzen. Nur wenn Newtons „Farbe“ als Farbreiz verstanden wird, ist seine Behauptung durch die Erfahrung gedeckt.
    Bei der Nachprüfung des Newtonschen Prismenversuchs wich Goethe in zweierlei Hinsicht von Newton ab: einmal in der Versuchsanordnung, zum andern in der Interpretation des Versuchs. Während Newton in einem verdunkelten Raum mit einem ausgeblendeten Sonnenstrahl experimentierte und diesen durch ein Prisma leitete, blickte Goethe in einem normal erhellten Raum selbst durch das Prisma. Die verschiedene Interpretation des Versuchs ergibt sich daraus, dass Goethe unter den Terminus „Farbe“, solange dieser nicht durch das Attribut physisch oder chemisch als Farbreiz ausgewiesen ist, immer eine Farbempfindung mit eigener Qualität und eigenen Gesetzen versteht. Da Newton, wenn er von Farbe redet, nicht zwischen Farbreiz und Farbempfindung unterscheidet, hat Goethe die Behauptung Newtons über die Zusammengesetztheit des Weißen so (miß)verstanden: Die Empfindung „Weiß“ läßt sich aus verschiedenen Farbempfindungen zusammensetzen. Daher seine Erwartung, dass bei der Betrachtung einer weißen Wand durch ein Prisma die Empfindung einer in viele Farben zersplitterten Erscheinung auftritt, und daher auch seine instinktive Ablehnung der Newtonschen Farbentheorie. In den Venezianischen Epigrammen spottet Goethe:
 
„Weiß hat Newton gemacht aus allen Farben. Gar manches hat er euch weisgemacht, das ihr ein Säkulum glaubt.
    Es könnte so aussehen, dass Newton in der Farbenlehre recht und Goethe (durch Mißverständnis und eine andere Versuchsdurchführung) unrecht gehabt hätte. Dieses Urteil ist jedoch viel zu kurz gegriffen. Das „Aperçu der prismatischen Farbenerscheinung“ war 1790 und es ist unstatthaft, bei der Urteilsbildung über den Farbenstreit hier stehenzubleiben, da die entscheidenden Erkenntnisse Goethes über die Farbphänomene erst später erfolgten. Auf Grund der durch Beobachtungen und Experimente gewonnenen Erfahrungen wurde 1793/94 für Goethe die Ahnung zur Gewißheit, dass die Farben nicht im Lichte stecken, sondern dem Auge angehören, er nannte sie physiologische Farben. Er gelangte zu der Erkenntnis, dass für das Phänomen „Farbe“ nicht die Physik, sondern eine ganz andere Wissenschaft mit ganz anderen Gesetzen zuständig ist, die er dann „Farbenlehre“ nannte
     Die Entdeckung der physiologischen Farben war aber nur die eine Vorbedingung für die Begründung der Wissenschaft von der Farbe, die andere Vorbedingung war die Einordnung der außerordentlich vielfältigen Farbenphänomene in Kategorien. In einem intensiven Gedankenaustausch mit Schiller nahm Goethe erstmalig eine kategoriale und terminologische Unterscheidung der verschiedenen Farbphänomene in physiologische, physische und chemische Farben vor. In der heutigen Terminologie wird unterschieden zwischen Farbempfindungen (Goethe: physiologische Farben) und Farbreizen, hier wieder zwischen Lichtfarben (Goethe: physische Farben, als Beispiel prismatische Farben) und Körperfarben (Goethe: chemische Farben, als Beispiel Pigmentfarben).
      Das Ergebnis seiner Forschungen auf dem Farbengebiet veröffentlichte Goethe 1810 in einem dreiteiligen Werk Zur Farbenlehre. Erst mit der Etablierung der Farbenlehre zu einer auf Erfahrung beruhenden Wissenschaft von den Farbempfindungen konnte Goethe die bis dahin intuitive Ablehnung der Newtonschen Farbentheorie durch eine wissenschaftliche Widerlegung ersetzen. Er konnte den von jedermann nachvollziehbaren Beweis angetreten, dass bei einer Mischung von Farbempfindungen immer die Empfindung einer Farbe oder der Unfarbe Grau, niemals die Unfarbe Weiß auftritt. Erst von diesem 1810 erklommenen Gipfel aus läßt sich der unüberbrückbare Gegensatz zwischen der Newtonschen und Goetheschen Farbentheorie klar benennen:
     Newton: Der Farbreiz und die Farbempfindung sind kausal verbunden und von gleicher Qualität, sie brauchen terminologisch nicht unterschieden werden; beides ist „Farbe“ und unterliegt den Gesetzen der physikalischen Optik (s. Abb. 4).
Goethe: Die Qualität der Farbempfindung (Farbe) existiert unabhängig vom Farbreiz (Licht); die Farbempfindung gehorcht eigenen Gesetzen, die mit Physik und Optik nichts zu tun haben. Der Farbreiz und die Farbempfindung gehören zwei verschiedenen Zuständigkeitsbereichen mit eigenen Gesetzen an: der physikalischen Optik bzw. der Farbenlehre. Die Farbenlehre ist eine eigenständige Wissenschaft. In Abbildung 5 ist dieser Sachverhalt am Beispiel des Newtonschen Prismenversuchs dargestellt.

 
E. Nachtrag

   In der Schrift „Nachträge zur Farbenlehre. Ältere Einleitung“ findet sich das folgende Plädoyer Goethes:

 
„Deshalb erlaube ich mir scherzhaft zu sagen und wenn soviel Teufel in den Hörsälen und Buchläden sich gegen mich widersetzten als Zeichen und Zahlen zu Gunsten der falschen Lehren seit hundert Jahren verschwendet worden so sollen sie mich doch nicht abhalten laut zu bekennen, was ich einmal für wahr anerkannt. Ohne weiteres also erkläre ich dass die mathematische Physik in ihrem Kreis vor wie nach ihr Wesen treiben möge sie irrt uns nicht. Denn was geht die Farben sie an.“

    Wird der Prismenversuch Newtons gemäß Abbildung 4 interpretiert, dann hätten die Vertreter der modernen Naturwissenschaft recht, dass Goethe Newtons Optik nicht verstanden hat. Wird dieser Versuch jedoch gemäß Abbildung 5 interpretiert, dann hätte Goethe recht, dass Newton und seine Gefolgsleute gar nicht verstanden haben, was „Farbe“ eigentlich ist. Die Entscheidung in dieser Frage kann nicht spekulativ, sondern muss auf der Basis von Erfahrungen mit dem Phänomen „Farbe“ getroffen werden.
Vom Goethes „Aperçu der prismatischen Farbenerscheinung“ im Jahre 1790 vergingen 20 Jahre intensiver Beschäftigung mit dem Farbenwesen, bis Goethe 1810 mit der Veröffentlichung des Werkes „Zur Farbenlehre“ die Wissenschaft von der Farbe begründen und das Rätsel des Phänomens „Farbe“ lösen konnte.

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